SIENA UND EINS SEINER VERBORGENEN GEHEIMNISSE
Am 5. Oktober des Jahres 1554 wurden mehr als 250 Waisenkinder kurzerhand von der Republik Siena vor die Tür gesetzt. Die Stadt befand sich seit 9 Monaten unter Belagerung und die Stadtverwaltung hatte beschlossen, dass man dem Feind nur Stand halten könne, wenn man die bocche disutili loswürde, die unnützen Mäuler. In den folgenden Monaten traf dieses Los weitere 4000 Bürger und Bürgerinnen, es waren größtenteils Kinder, unverheiratete Frauen und Senioren.
Die akribische Buchführung dieser Zeit, Listen der unglücklichen bocche disutili und der glücklichen bocche utili, die in der Stadt bleiben durften, kann man heute noch nachlesen: im Museo delle Biccherne, dem Stadtarchiv Sienas.
Das kaum bekannte Museum liegt direkt neben der Piazza del Campo und beherbergt auch weniger herzergreifende historische Dokumente. Das italienische Wort bicccherna bedeutete früher, zu Zeiten der Republik Siena, soviel wie Schatzamt. Die Titelseiten der über Jahrhunderte fortlaufenden, ledergebundenen Konto-Bücher wurden kunstvoll bemalt, von den führenden Künstlern der Stadt wie Ambrogio Lorenzetti. Die Einbände der 105 biccherne zieren keine biblischen oder religiösen Motive, sondern detailreiche weltliche Szenen, die sich unter anderem in den Büros der Buchhalter abspielten. Das älteste Buch der Serie datiert von 1258!
Weitere Schätze des Archivs sind Giovanni Boccaccios Testament sowie eine Reihe von Objekten, welche die Geschichten der Sienesischen Bürger illustrieren, die in der Göttlichen Komödie auftauchen.
Das Museo delle Biccherne – Webseite nur in Italienisch – ist Montag bis Samstag bis 13.00 geöffnet. Es gibt stündliche Führungen – nicht von einer Führerin, sondern einer Aufseherin – um 10.00, 11.00 und 12.00 Uhr. Man findet es, wenn man den Hof des Palazzo Piccolomini von der Via Bianchi di Sotto 52 aus betritt. Dann nimmt man die Treppe links und erklimmt den 4. Stock. Das Gebäude blickt direkt auf die Piazza del Campo. Am Ende der Tour öffnen die begleitenden Aufseher meist die Tür zum Balkon, von dem man die herrliche Aussicht genießen kann. Sollten sie es vergessen, fragen Sie einfach nach.